Carrier-Belleuse, Albert-Ernest (1824-1887), Lesende, um 1880

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Produktbeschreibung

Albert-Ernest Carrier-Belleuse(1824 Anizy-le-Château - 1887 Sèvres), Lesende , um 1880. Polierte Bronze auf gegossenem Sockel montiert. 33 cm (Gesamthöhe) x 9 cm (Länge) x 9 cm (Tiefe), Gewicht 2,97 kg. Auf der Plinthe mit „A.[lbert-Ernst] CARRIER.BELLEUSE] signiert, auf dem Sockelschildchen als „LISEUSE“ betitelt und mit „Par Carrier-Belleuse (Grand Prix de Salon)“ bezeichnet.

- vorderer Rand der Plinthe mit kleiner bestoßener Stelle, leichte Oxidationsspuren im Brustbereich, stellenweise etwas berieben, insgesamt in einem altersgemäß sehr guten Zustand




- Der goldene Glanz der Imagination -


Albert-Ernest Carrier-Belleuse versetzt uns in die Zeit des „Très Riches Heures“, das zwischen 1485 und 1489 von den Brüdern Limburg geschaffene Stundenbuch des Herzogs von Berry. Seine Lesende scheint unmittelbar der Welt des Stundenbuchs entstiegen zu sein, wobei sie selbst auf den Akt des Lesens reflektiert. Ihr mit überaus reicher Brokatstickerei verziertes Gewand, dass dem Bronzeguss höchste Präzision abverlangt, weist sie als elegante höfische Dame aus. Sie ist in die Lektüre eines Buches vertieft, bei dem es sich ebenfalls um ein Stundenbuch handelt mag, worauf der reich ornamentierte Einband und das Format hinweisen. Während die Dame mit der einen Hand das Buch und mit dem Daumen die aufgeschlagenen Seiten hält, blättern die Finger der anderen Hand bereits die nächste Seite um, so dass der Prozess des Lesens veranschaulicht wird. Strahlt ihr Gesicht eine stille nahezu unbewegte Schönheit aus, so trägt der kaskadenartige Faltenwurf die inneren Bewegtheit nach außen. Wie eine Heiligenfigur der Zeit hat sie ihr Obergewand mit dem Unterarm zusammengerafft, wodurch elegante Faltenwürfe entstehen, die die Figur zugleich dramatisieren.

Carrier-Belleuse hat mit galvanischen Methoden experimentiert, die Oberflächen der Bronzeplastiken zu versilbern und zu vergolden. Die Lesende, für die der Künstler mit dem Grand Prix des Pariser Salons ausgezeichnet wurde, ist ein herausragendes Beispiel für diese innovative Technik. Die goldene Erscheinung gemahnt an den Goldgrund der untergegangenen ‚heiligen‘ Zeit, die von der Lesende vergegenwärtigt wird. Zugleich eröffnet uns die bildliche Darstellung des Lesens das Reich der Imagination.





Auguste Rodin, Büste von Albert-Ernest Carrier-Belleuse, 1882

Foto David Monniaux / CC-Lizenz



zum Künstler

Nach einer Lehre als Ziseleur und Goldschmied in Paris nahm Albert-Ernest Carrier-Belleuse 1840 ein Studium an der Ecole des Beaux-Arts unter Pierre-Jean David d'Angers auf, kehrte der akademischen Kunst aber bald den Rücken und wechselte an die „Petite École“, aus der 1877 die „École nationale des arts décoratifs“ hervorging. 1848 zog er nach England und war als Entwerfer für die berühmte Porzellan- und Fayencefabrik Herbert Minton in Stoke-upon-Trent beschäftigt. Zudem erstellt er Entwürfe für Wedgewood und Copeland, für den Gusseisenhersteller Coalbrookdale und die Möbelmanufaktur Graham & Jackson. Auch nachdem er 1855 nach Paris zurückgekehrt war, lieferte er über sein ganzes künstlerisches Wirken hinweg Modelle für britische Manufakturen.

In Paris beschickt er ab 1857 kontinuierlich den Pariser Salon und wurde schnell zum gefragten Künstler. Napoleon III. erwarb die 1863 präsentierte Marmorstatue „Bacchante“ für die Gärten der Tuilerien (heute im Musée d´Orsay) und rühmte Carrier-Belleuse als „notre Clodion“, womit er sich auf den in Frankreich am meisten bewunderten Bildhauer des 18. Jahrhunderts, Claude Michel gen. Clodion (1738-1814), bezog. Die Wertschätzung des Kaisers führte zu weiteren staatlichen Ankäufen. 1867 wurde der mit der Ehrenmedaille ausgezeichnete „Messias“ aus dem Salon für die Pariser Kirche St-Vincent-de-Paul erworben, was dem Künstler zudem das Kreuz der Ehrenlegion einbrachte. „Die schlafende Hebe“ von 1869 ist sogar in staatlichem Auftrag entstanden und befindet sich heute ebenfalls im Musée d'Orsay.

Carrier-Belleuse schuf auch zahlreiche Porträtbüsten zeitgenössischer und historischer Personen. Unter anderen stellte er Napoléon III, Eugène Delacroix, Honoré Daumier, Théophile Gautier und sein großes Vorbild Jean-Antoine Houdon dar. Zu seinem Oeuvre gehören auch monumentale Denkmäler wie der „ Maréchal Masséna “ in Nizza (1869) oder das Reiterdenkmal zur Vereinigung der Walachei, Siebenbürgens und Moldaus in Bukarest (1876).

1871 floh Carrier-Belleuse zusammen mit Auguste Rodin vor der Pariser Kommune nach Brüssel, wo sie unter seiner Leitung einen Fries an der neuerrichteten Börse schufen. Eines seiner wichtigsten künstlerischen Tätigkeiten nach der Rückkehr nach Paris waren sicherlich seine Schöpfungen für die Neue Oper von Charles Garnier, mit dem ebenso wie mit Jean-Baptiste Carpeaux befreundet war. Ab 1875 bis zu seinem Tod 1887 war Carrier-Belleuse künstlerischer Direktor der Porzellanfabrik in Sèvres, die unter ihm eine neue Blütezeit erlebte. Von 1877 bis 1883 war auch Auguste Rodin in Sèvres für Carrier-Belleuse tätig, von dem Rodin 1882 eine Terrakotta-Büste schuf.

Neben seinen künstlerischen Innovationen, die den akademischen Klassizismus auf eine neue naturalistisch ausgerichtete Sinnlichkeit hin öffneten, entwickelte Carrier-Belleuse auch technische Neuerungen. Er experimentierte mit galvanischen Veredelungsmethoden von Bronzeplastiken.

Ab 1885 führte eine unheilbare Augenkrankreit zur allmählichen Erblindung. Im selben Jahre wurde der 1867 zum Ritter der Ehrenlegion geschlagene Künstler zum Offizier der Ehrenlegion ernannt.

Seine Werke signierte Albert-Ernest Carrier-Belleuse mit „A. Carrier“ und ab etwa 1868 mit „A. Carrier-Belleuse“.

Carrier-Belleuse, Albert-Ernest (1824-1887), Lesende, um 1880