Dewerny, Christine (*1947), Weiblicher Torso, um 1986
Christine Dewerny(geb. 1947 Leipzig), Weiblicher Torso , um 1986. Dunkel gefasster Ton an heller Steinstele montiert, 19 x 10 x 7 cm (Darstellung), 27 x 10 x 10 cm (Stele), auf dem rechten Oberschenkel mit „CHD“ monogrammiert und der Unterseite des Sockels handschriftlich als „weibl. Torso“ bezeichnet und mit „Dewerny“ signiert.
- Stele mit bestoßener Ecke und geklebtem Riss.
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- Ursprüngliche Weiblichkeit -
Der etwa 1986 entstandene ‚Weibliche Torso‘ kann als Initialwerk von Christine Dewernys eigentlichem künstlerischen Schaffen gesehen werden, da sie in diesem Jahr ihr Engagement als Theaterplastikerin aufgekündigt hatte, um sich fortan ganz der Bildhauerei zu widmen. Damit kommt dem Werk ein programmatischer Charakter zu, der sich auch darin zeigt, dass der Torso 1987 in Bronze gegossen wurde. Die bronzeartige Patinierung der Terrakottaplastik legt nahe, dass der Torso bereits von Anbeginn für eine Umsetzung in Bronze konzipiert wurde, obwohl er zugleich ein für sich stehenden unikales Kunstwerk darstellt.
Die Befestigung an einer farblich mit der dunkel patinierten Figur konstatierenden hellen Steinstele hebt den Torso als überkommendes Fragment vor, das sich – in einen Schwebezustand versetzt – zugleich als vollständiges Kunstwerk präsentiert. Durch den fragmentarischen Aspekt weist die Plastik etwas Archaisches auf. Vor dem Hintergrund einer symmetrisch stilisieren Ursprünglichkeit wirkt der Torso jedoch äußerst lebendig, was durch die deutlichen asymmetrischen Momente bewirkt wird: Die Schultern, die Brüste und die Beine brechen die von der Frontalansicht vorgegebene Gleichförmigkeit auf und versetzen den Torso ‚in Bewegung‘, was den Eindruck hervorruft, er würde sich beim Umgehen seinerseits bewegen.
Die Lebendigkeitswirkung wird von den beabsichtigten Brandrissen gesteigert. Sie verleihen dem Torso ein visuelles Vibrato. Zugleich wirken sie wie Altersspuren, was dem Fragmentarischen entspricht und den archaischen Charakter der Figur unterstreicht. Diese Ursprünglichkeit erhebt den Torso zu etwas Urbildlichem, das – pars pro toto – für die Weiblichkeit als solche einsteht. Daher hat Dewery drei Jahre nach dem weiblichen, 1990, einen ‚Männlichen Torso‘ als Gegenstück geschaffen. Als Sinnbild des weiblichen Körpers betrachtet, wirken die Brandrisse wie Narben, die dem Körper ein seit der Vertreibung aus dem Paradies währendes Leiden einschreiben. Die Spuren sind aber zugleich auch Spruen der Modellierung, die die Formkraft weiterhin in der Form präsent halten, was abermals die Lebendigkeitswirkung steigert, obwohl es sich doch einzig um einen Torso handelt. Aus diesem Paradox zwischen fragmentarischem Relikt und lebendiger Schöpfung speist sich die intensive Aura des Bildwerks.
zur Künstlerin
Christine Dewerny. Foto von Raimund Dewerny /
CC BY-SA 4.0
Als Tochter eines Requisitenmeisters in Leipzig war Christine Dewerny ein Interesse an der Bildwelt des Theaters in die Wiege gelegt. Parallel zur Ausbildung als Bühnenbildner an der Deutschen Staatsoper studierte sie an der Berliner Fachhochschule für Angewandte Kunst, um anschließend, von 1965 bis 1968, an der Hochschule für Bildende Künste Dresden unter Walter Arnold und Otto Thielike ein Studium der Theaterplastik zu absolvieren. Dies führte zu ihrer bis 1986 währenden Tätigkeit an der Berliner Volksbühne und der Komischen Oper, wo sie unter anderen mit den Regisseuren Walter Felsenstein, Götz Friedrich und Harry Kupfer zusammenarbeitete.
Ab 1986 widmete sich Dewery ganz der Bildhauerei. 1987 wurde sie in den Verband Bildender Künstler der DDR aufgenommen und anschließend Mitglied im Berufsverband Bildender Künstler Berlin. 1994 initiierte sie die GEDOK-Gruppe Brandenburg, der 1926 gegründeten wichtigsten Vereinigung weiblicher Künstler.
Das Oeuvre von Christine Dewerny wurde in zahlreichen Einzelausstellungen gezeigt. Im Öffentlichen Raum sind insbesondere von ihr geschaffene Porträtbüsten präsent, wie Siegfried Matthus (2007, Rheinsberg), Götz Friedrich (2008, Berlin), Hanns Eisler (2010, Berlin), Käthe Kollwitz (2013, Berlin), die Maske der Medea als Ehrung für Christa Wolf (2016, Berlin) und Helmut Kohl (2018, Berlin).