Meyerheim, Paul (1842-1915), Studienblatt mit Torso, Händen und Schirm
Paul Friedrich Meyerheim(1842 Berlin - 1915 ebd.). Studienblatt mit Damentorso, Händen und Schirm . Bleistift auf Papier, 27,5 x 22,5 cm (Sichtmaß), 23 x 29cm (Blattgröße), 44,5 x 34,5 cm (Passepartout), rechts unten mit Signaturstempel als „Paul Meyerheim Nachlass" gekennzeichnet.
- etwas fleckig und mit leichteren Knickspuren
- Die Charakteristik des Unscheinbaren -
Wie sein enger Freund und Mentor Adolph von Menzel war auch der eine Generation jüngere Paul Meyerheim ein genauer und ebenso humorvoller Beobachter des Alltäglichen. Beide hielten oftmals scheinbar gänzlich Nebensächliches fest, das – künstlerisch ins Bild gesetzt – jedoch seine Charakteristik für die Gesellschaft und das Allgemeinmenschliche entfaltet. Den in Berlin von Daniel Nikolaus Chodowiecki initiierten Realismus, im Detail des Alltäglichen das Charakteristische zu gewahren und herauszustellen, verfolgt Menzel auf eine geradewegs exzessive Weise und wird auch von Meyerheim praktiziert.
Das vorliegende Blatt ist geradewegs ein Musterbeispiel für die Beobachtung derartiger Alltäglichkeiten. Wir sehen, wie eine Dame einen Zierknauf auf die Spitze eines Sonnenschirms schraubt. Obwohl der Körper realistisch ausgeformt und aufgrund der gekonnten Licht- und Schattengestaltung im Sonnenlicht situiert ist, sind der Kopf und der Unterkörper nicht mit dargestellt. Dies hat eine Konzentration auf die gezeigte Handlung zur Folge, die durch das Weglassen des einzig angedeuteten Kopfes zudem eine Eigenständigkeit gewinnt. Die Handlung ist eben nicht für eine ganz bestimmte Person charakteristisch, sondern wird so oder so ähnlich von jeder Dame mit einem solchen Schirmproblem auf diese Weise ausgeführt werden. Bereits durch die Darstellungsmethode wird also das charakteristische Besondere zu etwas Allgemeingültigem.
Sehen wir die ausgeführte Handlung vor dem Oberkörper der Dame, so hat Meyerheim vor dieser Szenerie einzig die Handlung als solche zur Darstellung gebracht. Durch dieses Heranzoomen scheinen die handelnden Hände vor den Augen des Betrachters zu schweben. Sie wirken, als würden Sie eine Art Zauberei vollziehen, bei der die Finger der einen Hand elegant mit der Kugel des Knaufs hantieren. In dieser nebensächlichen, gänzlich zweckorientierten Handlung zeigt sich also die Eleganz und das Geschick der Damenwelt und zugleich das menschliche Bedürfnis sich mit dem schattenspendenden Schirm vor der Sonne zu schützen.
zum Künstler
Paul Meyerheim entstammt einer Künstlerfamilie. Sein Vater, Friedrich Eduard Meyerheim, ist ebenso Maler wie seine Onkel Hermann und Wilhelm, während seine Mutter, Caroline Friederike, der Bruder des Bildhauers Friedrich Drake ist.
Nach einem ersten Kunstunterricht seitens des Vaters, studierte Paul Meyerheim von 1857 bis 1860 an der Berliner Akademie der Künste, wo ihn der Tiermaler Teutwart Schmitson stark prägte. Mit gerade einmal 18 Jahren begann Meyerheim ab 1860 auf der Großen Berliner Kunstaustellung Werke zu präsentieren, die ihm als Künstler Anerkennung verschafften. Mit der Verleihung der Goldmedaille für sein Werk Menagerie im Pariser Salon von 1866 gelang ihm auch der internationale Durchbruch.
Nach Studienreisen in die Schweiz, nach Belgien und nach Holland hielt sich Meyerherim 1865/66 ein Jahr in Paris auf, um insbesondere die neue realistische Kunst eines Gustave Courbet und die in der Natur entstandene Landschaftsmalerei der Schule von Barbizon zu studieren. Anschließend widmete er sich selbst vor allem der Landschaftsmalerei und reiste mehrfach in die Alpen, wohin ihn sein enger Freund Adolph Menzel begleitete.
Mit Menzel verband ihn auch die Vorliebe für Tierdarstellungen. Aus den gemeinsamen Studien im Berliner Zoo erwuchsen neben zahlreiche Tierdarstellungen auch Meyerheims Wandmalereien für das Antilopenhauses. Aufgrund seiner virtuosen Meisterschaft in der Tiermalerei wurde er 1883 zum Professor an die Berliner Akademie berufen und mit der Leitung der Tiermalklasse betraut.
Bereits 1880 war Meyerheim auch als Porträtmalerei so gefragt, dass er ein lebensgroßes Bildnis des Kaisers Wilhelm I. für den Sitzungsaal des Deutschen Reichtags anfertigte. Derart erfolgreich ließ er sich von Alfred Messel, dem Erbauer des Kaufhauses Wertheim am Leipziger Platz, in der Hildbrandstraße ein eigenes Wohnhaus errichten, das er 1893 nach einer ausgedehnten Studienreise in den Orient bezog. Das Haus Meyerheim wurde zu einer gesellschaftlichen Institution mit regelmäßigen Empfängen und Festen.
Meyerheim war auch als Buchillustrator gefragt. Unter anderem gestaltete er ein 1880 erschienenes Kinder-ABC und illustrierte 1884 die Grimmschen Märchen. Für die bildliche Ausstattung der ersten Bände von Brehms Tierleben war er geradezu prädestiniert.
Hervorzuheben ist auch der zwischen 1873 und 1876 im Auftrag von Albert Borsig geschaffene sieben auf Kupfer gemalte Bilder umfassende Zyklus Lebensgeschichte der Lokomotive , der zu den frühesten Werken der Industriemalerei gehört.
Die wichtigsten Schüler Paul Meyerheims waren August Gaul und Wilhelm Kuhnert, die die künstlerische Tierdarstellung in die Moderne hineintrugen.
Auswahlbibliographie
Kai Artinger: Von der Tierbude zum Turm der blauen Pferde, Berlin 1995.
Gerhild Kaselow: Die Schaulust am exotischen Tier. Studien zur Darstellung des zoologischen Gartens in der Malerei des 19. und 20. Jahrhunderts, Hildesheim u.a. 1999.
Mei-Hau Kunzi: „Dieses schöne Hilfsmaterial“. Paul Meyerheim und die Fotografie. In: Vorbilder – Nachbilder. Hrsg. v. Ulrich Pohlmann, Dietmar Schenk und Anastasia Dittmann, Köln 2020, S. 158-187.