Schwarz, Reiner (*1940), Unter der Maske des venezianischen Mädchens, 1968
Reiner Schwarz(*1940 Hirschberg), Unter der Maske des venezianischen Mädchens , 1968. Lithographie, 30 cm x 24 (Darstellung), 59 cm x 42 cm (Blattgröße), unten rechts in Blei mit „R.[einer] Schwarz“ signiert, auf „[19]68“ datiert, unten links als Exemplar Nr. 78/80 ausgewiesen und mittig als „Unter der Maske des venezianischen Mädchens“ bezeichnet.
- in sehr gutem Zustand
- Monströse Realität -
Von der Kunst eines Guiseppe Arcimboldo inspiriert schafft Reiner Schwarz Köpfe aus sich ineinanderfügenden Versatzstücke, nur dass es sich dabei nicht um Elemente der Flora und Fauna handelt, sondern primär um menschliche Körperteile. Dadurch wird die monströse Wirkung noch zugespitzt, da ein Gesicht nicht aus etwas anderem entsteht, sondern selbst etwas Fragmentarisches ist, das nicht harmonisch in sich gefügt, sondern etwas Disparates ist und damit kaum lebensfähig zu sein scheint. Dies wirkt umso frappierender als sich dieses Antlitz als eigentliches Antlitz offenbart, während das Gesicht der venezianischen Renaissance-Schönheit eine nach oben geschobene Maske ist, die deutlich fader ausfällt als die eigentliche von den Pfauenfedern persiflierten Erscheinung, die dennoch auf ihre Weise eine eigene ausdrucksvolle wie geheimnisvolle Schönheit aufweist, die allerdings vom formulierten Ideal der Maske abweicht. Indem Schwarz mit der schönen Frauenmaske die Kunst der Renaissance adressiert, ist das Bild zugleich ein Kommentar auf die Kunstgeschichte, die, statt die monströse Realität zu gewahren, die Fantasiewelt idealer Schönheit zur Darstellung bringt.
zum Künstler
Nach der Vertreibung aus der schlesischen Hirschberg verlebte Reiner Schwarz seine Jugend in Hannover. 1960 nahm er ein Studium an der Berliner Hochschule der Künste bei Mac Zimmermann auf und begann erste Lithographien anzufertigen. 1962 unternahm er Studienreisen nach Florenz und Venedig und 1965 nach Rom. An der italienischen Kunst faszinierte ihn insbesondere die sienesische Malerei und der Manierismus. 1964 erfolgte die erste Einzelausstellung in der Bremen Galerie Schnoor als Auftakt von über 150 Ausstellungen im In- und Ausland.
1974 richtete sich Reiner Schwarz in Berlin eine Druckerwerkstatt ein, in der er die Technik der Lithographie perfektionierte und bis zu 17 Farben auf verschieden Tonpapieren einsetzte. 1987 inspirierte ihn die künstlerische Begegnung mit Rolf Münzer und Peter Schnürpel in der Druckwerkstatt Kätelhön dazu, statt des Menschen Mensch die Welt der ‚verlassenen und vereinsamten‘ Alltagsgegenstände als melancholische Erinnerungspuren zu erschließen. Dazu verwendete er zunächst großformatige Packpapiere aus der DDR. 1990 wird Schwarz Mitglied des Künstlersonderbundes in Deutschland.
Die Galerie Brusberg, die den Künstler über 20 Jahre vertrat, hat 1984 ein Werkverzeichnis der Lithographien von Reiner Schwarz erstellt.
„Zeichner allein wolle er nicht sein, sondern ein Deuter, Umdeuter, Neudeuter, ein Metaphoriker, der Mutanten kreiert und damit so noch nicht gesehenes Allbekanntes und scheinbar Banales zur Anschauung bringt, das eben dabei ist, in die Ewigkeit zu wechseln; eben der langkurze Augenblick einer allzu flüchtigen Gegenwart, einer Natur neben der Natur, einer Realität neben der Realität. Es ist daher ein subversiver Realismus, der unser Alltagsdenken in Frage stellt, der die Dinge mittels überfeinerter Akkuratesse einem raschen Zugriff verweigert, der das Erkennen hintertreibt, die Welt denaturiert und zu Vexierbild umschmilzt […].“
Edwin Kratschmer